3. Erkennen
Von dem Verstehen über das Annehmen bis zum Erkennen von Rassismus ist es ein weiter Weg. Für uns, die nicht von Rassismus betroffen sind, ist es oft schwer, Rassismus bei uns oder anderen zu identifizieren. Dies ist aber ein notwendiger Schritt, um etwas gegen Rassismus zu tun – sei es nun Alltagsrassismus oder institutioneller Rassismus. Aber wo fängt Rassismus an? Natürlich kann ich hier nicht alle Rassismen aufzeigen, aber ich werde Beispiele aus dem öffentlichen Leben wählen. Beispiele, die zeigen, wie sehr Rassismus Teil unseres Alltags ist, oft ohne, dass wir uns dem bewusst sind.
Unter institutionellem oder strukturellem Rassismus verstehen wir Rassismen, die von Institutionen der Gesellschaft durch ihre Normen und Strukturen ausgehen. Dies ist unabhängig von den Individuen, die innerhalb der Institutionen handeln.
Rassismus bei der Polizei
Ein gutes Beispiel für strukturellen Rassismus ist das sogenannte racial profiling, das bei der deutschen Polizei besonders bei den sogenannten „verdachtsunabhängige Personenkontrollen“ auftritt. Dahinter steckt eine gezielte Kontrolle von Menschen, die nicht weiß sind und aufgrund ihrer vermeintlichen ethnischen Zugehörigkeit unter Generalverdacht gestellt werden. Dies ist nicht nur ein Verstoß gegen unseren Gleichheitsgrundsatz, sondern ermöglicht auch eine simple Logik: wenn vergleichsweise mehr Schwarze als weiße Menschen von der Polizei kontrolliert werden, dann werden dadurch auch mehr Straffällige unter ihnen entdeckt. Die Beschreibung von Politikwissenschaftler Norbert Pütter in Bürgerrechte Polizei/CILIP fasst das Problem des Racial profiling in Deutschland gut zusammen: „Da weder ein bestimmter Verdacht noch ein bestimmtes Verhalten die [verdachtsunabhängigen] Personenkontrollen auslösen, bleiben den PolizistInnen nur äußerliche, sichtbare Merkmale von Personen. Neben der Kleidung, der Haartracht oder dem Fahrzeug, mit dem man unterwegs ist, ist die Hautfarbe und/oder die ethnische Herkunft einer Person ein solches sichtbares Merkmal. Die wenigen bekannten Daten zeigen, dass AusländerInnen von verdachtsunabhängigen Kontrollen erheblich häufiger als Deutsche betroffen sind. […] Neben diesen indirekten Wirkungen der verdachtsunabhängigen Kontrollen auf Polizeiübergriffe können die Kontrollen selbst bereits als Übergriff betrachtet werden. Denn dass Menschen unabhängig von ihren Handlungen kontrolliert werden, dass äußeres Erscheinen oder Hautfarbe darüber entscheiden, wer von der Polizei kontrolliert wird oder nicht, widerspricht dem liberalen und demokratischen Staats- und Gesellschaftsverständnis. […] Die Ungleichbehandlung verstärkt gesellschaftlich vorhandene Diskriminierungen.“[1]
Rassismus in der Schule
Rassismus an Schulen ist ein heikles Thema. Schulen wird der Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ verliehen. Dies suggeriert, dass es wirklich Schulen ohne Rassismus geben könnte. Dabei gibt es das nicht, höchstens rassismussensible Schulen. Schulen sind ein Abbild der Gesellschaft mit Kindern und vor allem Lehrenden, die rassistisch sozialisiert worden sind. Rassismus in Schulen ist kein individuelles Problem, sondern vor allem ein Strukturelles. Fakt ist, die Lehrenden erhalten in ihrem Studium keine Sensibilisierung für Rassismus oder Rassismuskritik. Die Lehrmaterialien reproduzieren bis heute Rassismen und Schwarze Kinder werden diskriminiert oder benachteiligt.
Das Erdkundebuch zeigt als Einstieg in das neue Thema einen Überblick von Afrika. Auf der ersten Seite sind ein paar Statistiken über Export und Import, eine physische Karte und eine aus Lehm und Stroh zusammen gebaute Hütte zu sehen. Was falsch daran ist? Es wird ein unrealistisches Bild eines ganzen Kontinents gezeichnet. Das Bild signalisiert, dass das Leben der Afrikaner*innen einfach, ländlich und vollkommen anders als das Leben der Europäer*innen ist. Die vermeintlich einfach errichtete Hütte steht symbolisch für das Leid der armen und hilflosen Afrikaner*innen. Wir die weißen sind die großen Retter der Armen und unterstützen, damit sich Afrikaner*innen entwickeln können. Gerade bei Kindern und Jugendlichen setzt sich dieses Bild besonders schnell fest. Dies ist nur ein Beispiel, aber es zeigt, was fehlt: eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kolonialismus, um zu verstehen, welche Auswirkungen dies bis heute auf unsere Wahrnehmung und unser Handeln hat. Nur so können rassistische Vorurteile und Unwissen verhindert werden.
Zudem haben OECD Studien ergeben, dass nirgendwo der Bildungserfolg so stark von der sozialen Herkunft abhängig ist wie in Deutschland. Wir sind eines der Schlusslichter bei der Inklusion von Kindern, die im eigenen Land geboren sind, aber nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören. Damit sind Kinder gemeint, deren Eltern oder Großeltern immigriert sind. Dazu kommt, dass diesen Kindern selbst bei guten Noten häufiger der Besuch der Real- oder Hauptschule empfohlen wird. Dahinter steckt ein allgemeiner „defizitorientierter“ Blick auf Kinder, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören. Es wird angenommen, dass sie nicht genügend Unterstützung aus dem Elternhaus bekommen. Eines der größten Probleme ist, dass der Ursprung für Fehlverhalten bei Schwarzen Kindern häufig nicht in der Situation oder den Umständen gesehen wird, sondern in einer vermeintlich kulturellen oder ethnischen Zugehörigkeit. Das Schwarze Kind beißt ein anderes Kind, weil es „wild“ ist und nicht, weil es einen schlechten Tag hat oder geärgert wurde.
Im Buch von Tupoka Ogette fand ich folgendes Zitat einer Mutter, das mich zutiefst erschüttert hat.
„In der Schule haben sie Sklaverei durchgenommen und die ganze Klasse hat permanent auf meinen Sohn gezeigt und ihn Sklave genannt. Der Lehrer hat nichts gemacht und ihm nur gesagt, er solle doch auf seine deutschen Vorfahren stolz sein und auf deren Errungenschaften während der Kolonialzeit.“[2]
Zu wissen, dass Schwarze Kinder mit solch rassistischen Situationen konfrontiert werden, die durch rassistische Sozialisierung und Unwissenheit bei Kindern und Lehrenden entstehen, und es eben kein Einzelfall ist, sollte uns allen zeigen, wie wichtig es ist, Rassismus zu bekämpfen.
Rassismus im Sport
Ich glaube ein aktuelles Beispiel für Rassismus im Sport sind die rassistischen Anfeindungen gegen Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bukayo Saka. Nach ihren Fehlschüssen im Elfmeterschießen gegen Italien im EM-Finale brach eine Welle von rassistischen Beleidigungen in den sozialen Medien durch die englischen Fans über sie hinweg. Die Empörung ist groß, dabei ist das (leider) nichts Neues. In Deutschland heißt es „Schlimm, was da in England passiert.“ Rassismus sind immer die Anderen. Dabei zeigt sich Ähnliches auch in der deutschen Sportlandschaft, wie die Dokumentation „Schwarzer Adler“ zeigt. Mesut Özil schrieb nach seinem Rückzug aus der deutschen Nationalmannschaft 2018: „Wenn wir gewinnen, bin ich Deutscher. Wenn wir verlieren, bin ich Immigrant.“ Das Existenzrecht im eigenen Land wird Schwarzen/ PoC nur zugestanden, wenn sie erfolgreich sind. Es ist an Bedingungen geknüpft. Bei weißen ist das nicht so.
Rassismus im Fernsehen/ im Theater
Viele von uns verbringen viel Zeit vor dem Fernseher. Wir nehmen gezeigte Filme und Serien unbewusst als realitätsgetreues Abbild unserer Gesellschaft wahr. Allerdings gibt es nur wenige Film- und Fernsehproduktionen, in denen Schwarze gewöhnliche Rollen spielen. Viel häufiger findet man Schwarze dagegen in Rollen wie Dealer*in, Geflüchtete, Tänzer*in oder Prostituierte. Schwarze Rollen werden instrumentalisiert oder funktionalisiert und dienen als Projektionsfläche für Vorurteile. Es werden Assoziationen zu Schwarzen Männern oder Frauen reproduziert, z.B. ein Schwarzer Mann sei aggressiv, sexuell überaktiv, ein illegaler Einwanderer und Drogenkonsument, wohingegen eine Schwarze Frau lustig, mysteriös, sexy, arm aber glücklich, Sexarbeiterin und hilfsbedürftig sei.
Schwarze Menschen werden dadurch entweder schlecht dargestellt oder als hilfsbedürftige Personen, die von weißen gerettet werden (müssen). Selten werden sie in gewöhnlichen Rollen eingesetzt. Das führt zur Abwesenheit von Schwarzen Menschen im Film und Fernsehen und dadurch zu einer Verzerrung der demografischen Realität in Deutschland.
Im Theater in Deutschland findet man öfters eine besonders rassistische Praxis, das sogenannte Blackfacing. So nennt man es, wenn weiße sich mithilfe von Make-up oder anderen Hilfsmitteln als „Schwarze“ schminken. Diese selbst ernannten „Schwarzen“ sorgten durch aufgesetzte Dummheit oder Triebhaftigkeit für die Erheiterung des weißen Publikums und die Erniedrigung der Schwarzen. Man müsste meinen, dass diese rassistische Demütigungspraxis schon lange verboten ist, aber beispielsweise 2006 wurde sich für die Inszenierung von „Othello“ im Hamburger Schauspielhaus genau dieser Praxis bedient, wodurch Rassismen gegenüber Schwarzen reproduziert wurden.
Rassismus in Spendenwerbung
Eines der häufigsten gewählten Motive von großen NGOs sind Schwarze (lächelnde) Kinder, um für Spenden oder sogar Patenschaften zu werben. Was falsch daran ist: nur bei einem Schwarzen Kind kommt man auf die Idee, dass es hilfsbedürftig ist, obwohl es fröhlich aussieht. Allein dass ein Kind Schwarz ist, bedeutet für Deutsche, dass es Hilfe braucht. Unabhängig von der Darstellung werden sie als Alarmsignal für Armut empfunden. Bei weißen Kindern kommt niemand auf diese Assoziation. Zudem wird auch hier ein verallgemeinerndes Bild des gesamte Kontinents Afrika gezeichnet, das Rassismen reproduziert.
Rassismus im Alltag
Wenn ich mir Berichte von Schwarzen Menschen über ihre Rassismus Erfahrungen im Alltag durchlese oder anhöre, dann wird mir eines klar: mit vergleichbaren Situationen bin ich noch nie konfrontiert worden und das ist ein Privileg. Vielleicht um ein Beispiel aufzugreifen. Ich werde nie als erstes und sowieso selten generell gefragt, wo ich herkomme. Wenn mich jemand fragt, dann kommt nach der Nennung meiner Kleinstadt höchstens eine Nachfrage zu der genauen Lage, aber niemals die Frage „und woher kommst Du wirklich?“. Wir sollten uns der Wirkung dieser Frage bewusst sein, denn sie spricht der gefragten Person ab, dass sie auch aus Deutschland kommt. Dass sie in Deutschland geboren ist und sich genauso deutsch fühlt wie ich. Sie suggeriert, dass die Person woanders herkommen muss, weil sie bestimmte äußere Merkmale aufweist. Schwarze Personen müssen sich erklären. Ich musste noch nie erklären, warum ich deutsch bin.
[1] Pütter, Norbert (2000): Polizeiübergriffe – Polizeigewalt als Ausnahme und Regel. Online verfügbar unter: https://archiv.cilip.de/alt/ausgabe/67/puetter.htm. Letzter Zugriff am 23.08.2021. [2] Ogette, Tupoka (2020): exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen.
Comments