2. Annehmen
Sicherlich entsteht bei Dir nach dem geschichtlichen Exkurs die Frage, was Rassismus mit Dir zu tun hat. Seit 400 Jahren leben wir mit diesem Konstrukt. Unsere Großeltern, Eltern und wir selbst wurden rassistisch sozialisiert. Wir leben in einer Mehrklassengesellschaft, in der wir als weiße Menschen Privilegien haben, die wir als selbstverständlich empfinden. Vielleicht denkst Du jetzt: welche Privilegien soll ich schon groß haben? Vielleicht hilft Dir diese kleine Liste Privilegien dabei, deine Hautfarbe bewusst wahrzunehmen:
Ich werde als Mitglied der Bevölkerung betrachtet
Ich werde nicht automatisch als „fremd“ betrachtet
Ich muss mich nicht rechtfertigen, weshalb ich in „ihrem“ Land lebe
Meine Anwesenheit wird als normal und selbstverständlich wahrgenommen, niemand wundert sich über meine Deutschkenntnisse
Ich bin aufgewachsen, ohne rassistisch beleidigt werden zu können
Ich muss in meinem eigenen Land nie darüber nachdenken, ob eine polizeiliche Kontrolle vielleicht aufgrund meines „ethnischen“ Aussehens erfolgt
Ich werde von Fremden nicht über meine Herkunft oder Familiengeschichte ausgefragt
Ich habe keine Hindernisse bei der Wohnungs- oder Arbeitsstellensuche wegen meines weißseins
Ich kann mir sicher sein, dass Stifte in „Hautfarbe“ oder Pflaster meiner Hautfarbe ähneln
Ich sehe im Fernsehen und Zeitschriften überall Menschen meiner Hautfarbe
Ich kann mich beweisen in schwierigen Situationen, ohne als leuchtendes Beispiel aller Menschen meiner Hautfarbe herangezogen zu werden
Ich werde als Individuum wahrgenommen
Ich habe die Wahl, mich mit Rassismus auseinanderzusetzen, wenn ich möchte.
Unser weißsein ist für uns normal, wir nehmen die Beeinträchtigungen für andere, die daraus entstehen, nicht wahr. „Wir erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser ethnischer Status und ein unausgewogenes Spielfeld uns Vorteile verschaffen“[1]. Es geht nicht darum uns weißen Menschen die Schuld für das System zu geben. Du und ich, wir haben Rassismus nicht erfunden, aber wir profitieren von dem System und das erhält das System am Leben. Daraus entsteht eine Verantwortung für uns weiße Menschen, unsere Rolle zu verstehen und das System zu verändern. Das ist nicht die Aufgabe von den Betroffenen, sondern von den Profiteuren.
Die bisherigen Erläuterungen machen deutlich, dass weiße Menschen nie von Rassismus betroffen sein können. Vielleicht löst das Widerstand in Dir aus, weil Du eigene (Diskriminierungs-)Erfahrungen gemacht hast, die Du auf deine Hautfarbe zurückführst. Ist das nicht auch rassistisch? Die Antwort ist nein. Gedankengänge wie diese sind normal, auch ich kann Dir ein gutes Beispiel aus Südafrika geben:
Jeden Tag bin ich etwa 30 Minuten von meiner Wohnung zu meiner Einsatzstelle an der Wits University gelaufen und damit war ich morgens natürlich nicht die Einzige, die auf dem Weg zur Arbeit war. Durch meine Hautfarbe habe ich in diesen Teilen der Stadt viel Aufmerksamkeit erregt, was für mich oft ein Unangenehmes und vor allem ein Gefühl von „anders sein“ hervorgerufen hat. Ich habe manchmal gedacht: „so muss es sich teilweise für Schwarze Menschen in Deutschland anfühlen“. Im Nachhinein ein irrsinniger Vergleich. Mir wurden (zumindest laut meinen Erfahrungen) überwiegend positive Attribute zugeschrieben, auch wenn nicht jede Begegnung positiv war. Das geht Schwarzen Menschen (nicht nur in Deutschland oder Südafrika) sicherlich anders. Du und Ich wir können Rassismus nicht nachempfinden, denn Rassismus ist ein System, das von weißen Menschen für ihren Vorteil konstruiert wurde. Rassismus gegen weiße Menschen gibt es also nicht.
Die eigene rassistische Sozialisierung anzuerkennen und vor allem anzunehmen, ist nicht gerade einfach. Insbesondere in Deutschland ist Rassismus ein absolutes Tabuthema, obwohl wir auch nicht mehr oder weniger Rassismus als in anderen Ländern haben. Dies liegt sicherlich an der Tatsache, dass Deutschland immer noch die schwere kollektive Schuld des Holocausts trägt und alles was mit Rassismus in Verbindung steht, aus unserem kollektiven Bewusstsein gelöscht wird. Rassismus wird nicht nur verdrängt, sondern als Begriff auch moralisch aufgeladen. Bei dem Begriff „Rassist*in“ hat jede*r schnell ein Bild im Kopf von Menschen, die vorsätzlich rassistisch handeln und so möchte natürlich niemand sein. Bei Rassismus geht es allerdings nicht um die Intention, sondern um die Wirkung des rassistischen Systems. Ein „das war ja nicht rassistisch gemeint“ ändert nichts an der Wirkung für Betroffene. Was ich damit sagen will: wir haben oft keine böse Intention, wenn wir Menschen mit anderer Herkunft begegnen. Und die Frage: „wo kommst du denn wirklich her?“ wird vielleicht nur aus Interesse gestellt. Aber auch hier fängt Rassismus an. Es gibt nicht mehr die Unterteilung in die „Bösen Rassistinnen und Rassisten“ und die die es nicht sind. Wir sind mit rassistischen Denkmustern aufgewachsen und der einzige Weg diese aufzubrechen, ist meiner Meinung nach der der Konfrontation. Wir müssen in Deutschland anfangen, auf rassistische Äußerungen oder Handeln bewusst hinzuweisen. Wir dürfen unangenehme Diskussionen nicht scheuen, sondern müssen sie führen, selbst mit Freundinnen, Freunden und Familie. Und vor allem müssen wir bei uns selbst anfangen.
[1] Katz, Judith H. (2003): White awareness. Handbook for anti-racism training. S.10.
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